5 Minuten Lesezeit
Wir leben im Zeitalter der Polykrisen. Klimawandel, Kriege und KI – die drei Ks – erzeugen eine Grundspannung, die längst in unseren Alltag eingesickert ist. Die Welt wird schneller, unübersichtlicher, widersprüchlicher. Viele Menschen erleben:
👉 Überforderung, Stress, Entscheidungsmüdigkeit und innere Erschöpfung.
Doch selten fragen wir uns:
Was macht diese Komplexität mit unserer Persönlichkeit – und was macht unsere Persönlichkeit mit dieser Komplexität?
Als LINC-Coach und Persönlichkeitsberaterin sehe ich: Unsere Reaktionen sind kein Zufall. Sie spiegeln unsere Big Five wider.
Was sind die Big Five? Eine kurze Einordnung
Die Big Five (auch Fünf-Faktoren-Modell) sind das weltweit am besten etablierte Modell der Persönlichkeitspsychologie. Es beschreibt Persönlichkeit nicht in Schubladen, sondern entlang von fünf grundlegenden, stabilen Dimensionen, die in jedem Menschen unterschiedlich ausgeprägt sind:
- Offenheit – Wie neugierig, kreativ und veränderungsbereit wir sind.
- Gewissenhaftigkeit – Wie strukturiert, organisiert und zielorientiert wir handeln.
- Extraversion – Wie aktiv, gesellig oder introvertiert wir Energie regulieren.
- Verträglichkeit – Wie kooperativ, empathisch oder durchsetzungsstark wir sind.
- Emotionale Stabilität (Gegenteil von Neurotizismus) – Wie stressresistent oder sensibel wir auf Belastungen reagieren.
Diese fünf Faktoren wurden über Jahrzehnte hinweg wissenschaftlich untersucht und bilden die Grundlage dafür, wie wir denken, fühlen, handeln – und auf Komplexität reagieren.

VUCA vs. BANI oder warum sich die Welt radikaler anfühlt
Als vor Jahren der Begriff VUCA aufkam – Volatility, Uncertainty, Complexity, Ambiguity – diente er als Ordnungsrahmen, um eine Welt zu beschreiben, die unberechenbarer und instabiler wurde. Dieser Begriff kommt ursprünglich aus dem amerikanischen Militär der 1990er.
Doch das, was wir heute erleben, geht tiefer. BANI ist kein neues Modell, das VUCA ersetzt, sondern ein präzisierender Blick auf die emotional-psychologische Wirkung von VUCA.
Während VUCA sagt: „Die Welt ist komplex“, sagt BANI:
„Diese Komplexität fühlt sich für Menschen brüchig, beängstigend und unbegreiflich an.“
BANI beschreibt die innere Wirkung von VUCA
- Brittle (brüchig)
Systeme wirken stabil – bis sie es plötzlich nicht mehr sind.
Ein Ausfall genügt, um ganze Prozesse zum Stillstand zu bringen.
→ Das erzeugt permanente Alarmbereitschaft. - Anxious (ängstlich)
Die Informationsflut, Entscheidungen unter Unsicherheit und gesellschaftliche Spannungen führen zu einem kollektiven Stresslevel.
→ Menschen reagieren mit Angst, Überforderung, Prokrastination. - Nonlinear (nicht-linear)
Kleine Ereignisse können riesige Auswirkungen haben, große Investitionen wirken manchmal kaum.
→ Das untergräbt das Gefühl von Planbarkeit und Kontrolle. - Incomprehensible (unbegreiflich)
Kausalitäten verschwimmen. Selbst Expert*innen können Entwicklungen nur noch eingeschränkt erklären.
→ Das erzeugt kognitive Überlastung und Vertrauensverlust.
Warum wir heute stärker unter Druck stehen als noch vor einigen Jahren
Im Unterschied zu früher lösen heute mehrere Ebenen gleichzeitig Stress aus:
- globale Polykrisen (KI, Klimawandel, Krieg, Wirtschaft)
- digitale Beschleunigung und 24/7-Kommunikation
- Arbeitswelten voller Ambivalenzen
- gesellschaftliche Polarisierung
- Dauerpräsenz von Unsicherheiten
Es ist nicht die Menge der Krisen allein, sondern die Gleichzeitigkeit, Vernetztheit und emotionale Wucht, die sie erzeugen.
Und hier wird Persönlichkeit entscheidend
Komplexität ist objektiv da.
Aber wie wir sie erleben, ist zutiefst subjektiv.
Zwei Menschen stehen im selben Sturm, doch einer sieht Wind, der andere sieht Chaos.
- Menschen mit hoher Offenheit blühen in Wandel auf,
Menschen mit niedriger Offenheit fühlen sich destabilisiert. - Menschen mit hoher Gewissenhaftigkeit ersticken schneller an Perfektionismus,
Menschen mit niedriger Gewissenhaftigkeit verlieren sich in Optionen. - Menschen mit hoher emotionaler Sensitivität geraten schneller in Stress,
Menschen mit hoher Stabilität können länger gelassen bleiben.
BANI zeigt also: Nicht die Welt ist das Problem, sondern die Passung zwischen Außenwelt und innerer Struktur. Das erzeugt Druck, und jede Persönlichkeit reagiert anders darauf.
Big Five & Komplexität – so beeinflusst deine Persönlichkeit deine Weltwahrnehmung
Die Big Five sind kein theoretisches Modell. Sie erklären, warum Menschen in derselben Welt völlig unterschiedlich funktionieren.
1. Offenheit (Openness)
Hohe Offenheit: KI wird als Chance gesehen.
Niedrige Offenheit: KI wird als Kontrollverlust erlebt.
2. Gewissenhaftigkeit (Conscientiousness)
Hohe Gewissenhaftigkeit: Perfektionismus + Informationsflut = Überforderung.
Niedrige Gewissenhaftigkeit: Flexibler Umgang, aber weniger Struktur.
3. Extraversion
Extravertierte neigen zu Aktionismus im Chaos.
Introvertierte ziehen sich zurück – manchmal zu sehr.
4. Verträglichkeit (Agreeableness)
Hohe Verträglichkeit = Konfliktvermeidung – schwierig in Krisenzeiten.
Niedrige Verträglichkeit = Konfrontationskraft – aber potenziell zu hart.
5. Emotionale Stabilität (Neuroticism)
Hoher Neurotizismus → Stressreaktionen, Zukunftsangst, Nachrichtenüberlastung.
Hohe Stabilität → mehr Gelassenheit, aber manchmal emotionale Distanz.
Diese Muster bestimmen nicht nur, wie wir fühlen – sondern wie wir Entscheidungen treffen.
Komplexität macht unsere Persönlichkeit sichtbarer
Krisenzeiten wirken wie ein psychologischer Verstärker. Das heißt:
- Stärken werden sichtbarer.
- Stressmuster werden schneller ausgelöst.
- Entscheidungen werden emotionaler.
- Beziehungen werden fragiler oder intensiver.
Viele Führungskräfte berichten mir:
„Ich funktioniere anders als früher und ich weiß nicht, warum.“
Der Grund ist einfach: Die Welt ist komplexer geworden, aber wir wurden nicht geschult, uns selbst darin zu navigieren.
Selbstführung in der Polykrise – warum Persönlichkeitsarbeit kein Luxus mehr ist
Es geht heute nicht mehr darum, neue Tools oder Methoden zu lernen. Es geht um etwas Grundlegenderes:
Selbstführung. Innere Klarheit. Emotionale Stabilität. Bewusstheit für die eigene Persönlichkeitsstruktur.
Denn nur wenn wir wissen, warum wir reagieren, wie wir reagieren, können wir:
- uns besser steuern
- bewusster entscheiden
- Stress reduzieren
- Beziehungen stabil halten
- wirksam durch Komplexität navigieren
Fazit: Persönlichkeit ist der Kompass in einer komplexen Welt
Komplexität wird bleiben. Polykrisen werden nicht verschwinden. KI wird nicht langsamer, im Gegenteil.
Aber wir können verändern, wie wir uns selbst führen.
Wenn wir unsere Persönlichkeit verstehen, verstehen wir uns selbst. Wenn wir uns selbst verstehen, verstehen wir unsere Entscheidungen. Und wenn wir unsere Entscheidungen verstehen, verlieren wir die Angst vor Komplexität. Du wünscht dir wieder mehr Boden unter den Füßen? Dann meld dich gerne für ein unverbindliches Strategiegespräch..
Persönlichkeit ist nicht das Problem. Sie ist unsere Lösung.



